Peter Gingold – in Frankreich unvergessen

Am 7. Juni 2013 erlebte das Pariser Rathaus eine besondere Veranstaltung. Die autobiographischen Erinnerungen von Peter Gingold, die in der deutschen Ausgabe im PapyRossa-Verlag bereits die dritte Auflage erlebt haben, wurden nun in französischer Sprache herausgegeben. Der Verlag l‘Harmattan hatte die Übersetzung unter der Überschrift „Jamais resignés“ (Niemals resignieren) in seiner profilierten Biographien – Reihe („Graveurs de Mémoire“) veröffentlicht. Aus diesem Anlass lud der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë zu einem Empfang in den Festsaal des Rathauses – und 200 Gäste aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft folgten der Einladung. Natürlich waren die Mitglieder der Familie Gingold anwesend, die Freunde der Familie und Übersetzer des Buches, aber auch Vertreter großer historischer Institute und wissenschaftlicher Einrichtungen waren unter den Gästen, unter ihnen auch zahlreiche Vertreter von Veteranenverbänden und antifaschistischen Organisationen, die mit der FIR verbunden sind.

In verschiedenen Ansprachen wurden die Aufzeichnungen von Peter Gingold gewürdigt. Sein Bruder Siegmund und seine Tochter Alice sprachen aus der Sicht der Familie, Anne Jollet, verantwortliche Herausgeberin der Fachzeitschrift Cahiers d’histoire, formulierte Grundfragen der Geschichtspolitik und des Umgangs mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Kampfes. Als Bundessprecher der VVN-BdA und Generalsekretär der FIR unterstrich Ulrich Schneider die Bedeutung des Internationalismus in Peters Selbstverständnis und die Bedeutung der Vermächtnisse der Zeitzeugen für die nachgeborenen Generationen. Claude Pennetier, Historiker und Leiter eines Projekts eines biographischen Lexikons der Arbeiterbewegung, unterstrich die große Bedeutung der Zeitzeugen. Der Konservator des nationalen Museums des Widerstandskampfes Guy Krivopissko zeigte an Beispielen auf, wie wichtig die Erinnerung an den antifaschistischen Kampf auch in Frankreich ist. Während Maurice Clinq als Vertreter der FNDIRP die Rolle der antifaschistischen Organisationen für die Weitergabe der historischen Erfahrungen unterstrich.

Nach den Ansprachen folgte noch eine lebendige Aussprache, in der die Gäste mit verschiedenen Beispielen die Bedeutung der Zeitzeugen und ihrer Erinnerungen für die politische Kultur des Landes unterstrichen. Doch auch die Gegenwart kam nicht zu kurz. Das Beispiel der ehemaligen Widerstandskämpfer als Orientierungshilfe im politischen Handeln für heutige Generationen wurde von einem Pädagogen besonders betont.

Erstaunlich aus bundesdeutscher Perspektive war das völlig unverkrampfte Verhältnis aller Redner einschließlich der Vertreterin des Pariser Bürgermeisters gegenüber einem deutschen kommunistischen Widerstandskämpfer. Wenn man dagegen bedenkt, dass der hessische Verfassungsschutz über Silvia Gingold schon allein deshalb „Erkenntnisse“ unter der Überschrift „Linksradikalismus“ sammelt, weil sie mit einem „führenden Funktionär der VVN-BdA“ eine Lesereise mit dem Buch von Peter Gingold durch Bayern gemacht habe, werden die politischen Unterschiede besonders anschaulich.

In Frankreich jedenfalls bleibt Peter Gingold eine anerkannte Persönlichkeit und dank des Buches unvergessen.

Ulrich Schneider

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Veranstaltung zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Frankfurter Römerberg

Am 10.Mai 2013 veranstaltet die VVN-BdA auf dem Frankfurter Römerberg zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennungen eine öffentliche Lesung von Texten, die 1933 verbrannt wurden. In Lesepausen finden musikalische Zwischenspiele statt. Beginn 16.00 Uhr.

Die Veranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) steht unter der Schirmherrschaft des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann und erfolgt in Kooperation mit dem hessischen Schriftstellerverband, dem Studienkreis Deutscher Widerstand 33-45 und der Gingold-Erinnerungsinitiative.

Sie wird außerdem unterstützt von der Deutschen Nationalbibliothek, dem Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Frankfurter Stadtbücherei, der Universitätsbibliothek, dem DGB Region Frankfurt-Rhein-Main und der Regionalgruppe Gegen Vergessen – Für Demokratie.

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Endlich ein freier Mensch sein!

So lautete der Titel der Matinee, zu der die „Ettie und Peter Gingold Erinnerungsinitiative“ am 17.02.2013 in das Frankfurter Titania-Theater eingeladen hatte. Anlass war der 100. Geburtstag von Ettie Gingold. Das Freie Schauspielensemble Frankfurt hatte gemeinsam mit der Initiative ein Programm erarbeitet, welches die nahezu 200 Gäste begeisterte. Weiterlesen

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Fotogalerie Ettie Gingold zum 100. Geburtstag

Fotos der Matinee – Veranstaltung “Endlich ein freier Mensch sein – Hommage an Ettie in Frankfurt am Main am 17. Februar 2013Weiterlesen

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Interview zum Gingold Film

Das folgende Interview mit Mathias Meyers, einem der beiden Autoren des Films „Zeit für Zeugen – Eine Hommage an Ettie und Peter Gingold“ wurde im Oktober 2012 von Eva Petermann geführt und erschien in leicht gekürzter Fassung in der HLZ – Zeitung der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung (Ausgabe 12/2012).


Wie ist der Film eigentlich entstanden?

Mathias Meyers:
Ein Film von Loretta Walz über die Überlebende des Frauen-KZ Ravensbrück, Hildegard Schäfer, hat den Titel „Wenn ich nicht mehr da bin, müsst ihr das machen!“ Über Jahrzehnte haben Zeitzeugen tausendfach Schulklassen besucht und auf diese Weise lebendigen antifaschistischen Geschichtsunterricht ermöglicht.
Das kann leider kaum mehr in dieser Weise stattfinden. Es leben nur noch sehr wenige von ihnen.

Kannten Sie denn Ettie und Peter Gingold persönlich?

a, wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und waren befreundet. Peter Gingold hat uns zu seinen Lebzeiten öfter aufgefordert, uns Gedanken darüber zu machen, wie die politische Arbeit der Zeitzeugen gesichert werden kann.
Wie hätte die BRD sich wohl politisch entwickelt, wenn nicht diejenigen, die gegen den Faschismus an der Macht kämpften, sich immer wieder gegen Rechtsentwicklung und Faschisierung gestellt hätten? Wie viel größer wäre der Zulauf zu rechten und faschistischen Gruppen gewesen, wenn nicht die Zeitzeugen in Jugendgruppen und Schulklassen die Wahrheit über den Faschismus vermittelt hätten?
Unser Film über Ettie und Peter Gingold aus Frankfurt ist ein Beitrag dazu, diese Aufklärungsarbeit fortzusetzen.

Über Peter Gingolds Leben gibt es ja bereits einige Dokumentationen, z.B. des NRD. Was ist neu oder anders in Ihrem „Zeit für Zeugen“?

Ja, glücklicherweise wurden in den letzten Jahren etliche Filme über den antifaschistischen Widerstandskampf erstellt und Dokumente darüber gesichert.
Ein beachtlicher Fundus z.B. auch für Projekte von Schulklassen oder Geschichtskursen ist damit vorhanden.
In unserem Film „Zeit für Zeugen“ kommen, neben den Gingolds selbst, 24 Weggefährten zu Wort, so ein DGB-Vorsitzender, ein Frankfurter Rabbiner oder eine SPD-Abgeordnete. Sie erzählen von wichtigen biografischen Ereignissen und von der außergewöhnlichen Ausstrahlung der Gingolds

Bringen Sie denn auch neue historische Infos über sie?

Ja, insofern, als wir in unserem Film nicht auf die Zeit des Faschismus begrenzt bleiben, sondern uns auch mit der Zeit nach 1945 befassen. Zum Beispiel erzählt Ettie Gingold von dem Schock, der es für sie war, als elf Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ihre Partei, die KPD, wieder verboten wurde. Wieder waren sie gezwungen, die politische Arbeit illegal zu organisieren, Hausdurchsuchungen zu erdulden etc.

Aber setzt Ihr Film nicht zu viel historisches Wissen voraus? Wer weiß denn heute noch, was der „Krefelder Appell“ war? Nur mal als Beispiel?

Ich meine, die Beschäftigung mit Etties Biografie ist ein sehr anschaulicher Geschichtsunterricht! Die Résistance-Kämpferin war später als Kommunistin in der Friedensbewegung der 1950er und der 80er Jahre aktiv und sammelte in und um Frankfurt sage und schreibe 12.000 Unterschriften unter jenen „Krefelder Appell“ gegen die Stationierung von US-Atomwaffen in Europa.
Natürlich kann ein halbstündiger Dokumentarfilm nur ein Anstoß sein.
Mit der Geschichte von Ettie und Peter Gingold wird jedenfalls sehr deutlich, dass nach 1945 nicht eine völlig neue Zeit begonnen hatte. Der Faschismus hatte eine Vorgeschichte und er hatte noch lange massive Nachwirkungen, bis heute.
Eine zentrale Szene im Film zeigt Peter Gingold vor der überfüllten Aula einer Gesamtschule, die übrigens als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet wurde.
Es ist dort mucksmäuschenstill, als er sagt: „Ihr riskiert heute, wenn ihr euch gegen Rassismus und Ungerechtigkeiten wehrt, nicht das, was wir damals riskieren mussten. Aber macht das rechtzeitig, damit ihr nicht morgen das riskieren müsst, was wir damals zu riskieren hatten.“ Etliche hundert Schülerinnen und Schüler antworten ihm darauf mit standing Ovations!
Viele junge Menschen sind heute bei Demonstrationen gegen Nazis dabei. Der Film soll sie in ihrem Engagement bestärken. Wer sich – auch als Schüler oder Schülerin – mit heutigen Verhältnissen kritisch beschäftigt, will auch wissen, was gestern war.
Nun wird die Geschichte der Bundesrepublik ja gerne als reine „Erfolgsstory“ dargestellt. Dass zu ihr aber der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung und Atomwaffenstationierung gehört, dass einerseits tausendfach Berufsverbote verhängt und andererseits Neofaschisten von staatlichen Stellen geduldet oder gar gefördert wurden – das sind eher die blinden Flecken in den Geschichtsbüchern.

Zurück zum Film – ist er denn bereits an Schulen gezeigt worden?

Nein, bisher noch nicht. Verschiedene Jugendgruppen haben den Film in etlichen Städten vorgeführt, wo er offenbar recht großen Eindruck gemacht hat. Wir würden uns aber freuen, auch mit Schulklassen und interessierten Lehrerinnen und Lehrern zusammenzuarbeiten. Mit ihnen zusammen wollen wir auch das Konzept zur Nutzung des Films im Rahmen des (Geschichts-)Unterrichts weiterentwickeln.

Was ist denn Ihr neuestes Projekt, jetzt, wo der Gingold-Film fertig ist?

Aktuell bereitet die Frankfurter Initiative gemeinsam mit dem Freien Schauspiel Ensemble in Frankfurt am Main eine Matinee zum 100. Geburtstag von Ettie Gingold im Februar 2013 vor. Das wird eine Hommage an diese wunderbare und mutige Frau.

Zusammen mit dem Mainzer Künstler Thilo Weckmüller von der „Werkstatt uah!“ arbeite ich außerdem noch in dem Projekt „Trotz alledem!“. In den bisher sieben Ausstellungen zeigten wir mehr als 70 Porträts und Kurzbiografien von antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die farbigen Porträts – Linoldrucke mit verlorener Form – und die Veranstaltungen im Beiprogramm der Ausstellungen stoßen vor allem bei Jugendlichen auf große Resonanz. Diese Ausstellung stellen wir gerne als künstlerische Erweiterung für antifaschistische Schulprojekte zur Verfügung.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit!

Die Fragen stellte Eva Petermann von der GEW Kreis Hof (Saale).

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