Zeitzeugen

Zeitzeugen

Bericht von einer bewegenden Veranstaltung am 8.Mai 2011 in Frankfurt am Main

Erschienen in den „Münchner Lokalberichten“; Mai 2011; von Ulla Varchmin

Nur noch einer saß auf dem Podium unter jungen Gewerkschaftsvertreterinnen und einem jungen Mitglied der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald – Dora e.V. Einer der letzten Zeitzeugen, Hans Heisel, Mitglied der Résistance, der sich wie die Gingolds als 17jähriger im besetzten Paris im Widerstand engagierte. Im voll besetzten Saal des DGB- Gewerkschaftshauses hatten sich junge und alte (auch sehr alte) Menschen versammelt, um am 8. Mai, dem Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg, Ettie und Peter Gingold zu gedenken, die als jüdische Emigranten in der französischen Résistance kämpften. Ein Dokumentarfilm über Werk und Wirkung von Ettie (1913-2001) und Peter Gingold (1916-2006) erlebte anlässlich dieser Matinee seine Uraufführung. Die Gesprächsrunde im Anschluss an den Film wurde moderiert von Mathias Meyers, einem der beiden Autoren des Films und Anne Waninger. „Wie habt Ihr Peter und Ettie kennen gelernt?“ Auf diese Frage antwortete die Jugend einhellig: „Als Zeitzeugen, ich war 14 Jahre alt, er sprach in unserer Schule“. „Ich wollte ihn begrüßen, erwartete einen alten Mann, da sauste ein Fahrrad an mir vorbei, dann stand Peter Gingold vor mir,“ erzählt Lena Carlebach, die Enkelin eines ebenfalls bekannten Antifaschisten. „Ich sah sie auf der Straße stehen, eine unscheinbare kleine Frau, sie sammelte Unterschriften in der Fußgängerzone, sprach die Leute freundlich an und sie unterschrieben,“ berichtet Anne Waninger von ihrer Begegnung mit Ettie.

Unvergesslich bleibt Peters strahlendes Gesicht, sein fröhliches, manchmal verschmitztes Lachen, das die Mauern des Schweigens oder der Ablehnung durchbrach und ihm aufmerksame Zuhörer sicherte.
Eine Dokumentation zum 90. Geburtstag von Peter Gingold trägt den Titel „Résistance = Widerstand- ein Leben lang!“ Die Beiträge sind seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus und den Faschismus gewidmet. Überlebende der KZs, Mitglieder der DKP, der VVN, der LINKEN, Gewerkschafter und Journalisten – die dort zu Wort kommen, sprechen mit Ehrfurcht und Begeisterung von einem Menschen, der nicht nur durch seine rastlose politische Tätigkeit, sondern auch durch sein Charisma überzeugte, der nicht nur Mut, sondern auch Humor besaß. „Peter Gingold suchte die Auseinandersetzung und sie suchte ihn, den alten Kommunisten, der von seiner kommunistischen Überzeugung nicht lassen wollte,“ schreibt die FR am 31.Oktober 2006, kurz nach seinem Tod.

Auf dem Büchertisch liegt auch sein Bericht „Paris – Boulevard St. Martin No.11“ (PapyRossa-Verlag, Köln, 2009), der sich spannend wie ein Politthriller liest. Peter Gingold entkam in Paris der Gestapo, als ihm bereits die sichere Hinrichtung bevorstand.

Wie behandelte die deutsche Regierung Peter und Ettie Gingold nach ihrer Rückkehr 1945? Man verweigerte ihnen lange die deutsche Staatsangehörigkeit, zwang Peter Gingold nach dem KPD-Verbot in die Illegalität, belegte seine jüngere Tochter mit Berufsverbot. Am D-Day lud die französische Regierung die deutschen Mitstreiter in der Résistance zur Teilnahme an den Feierlichkeiten ein. Kanzler Kohl befand sie nicht würdig Deutschland zu vertreten. Sie nahmen dennoch teil als Ehrengäste der Organisationen der französischen Résistance.

Ettie Gingold, die jahrelang als Kurierin unter der Okkupation ihr Leben aufs Spiel setzte, Material für den Widerstand erstellte und verteilte, sich gleichzeitig um die gemeinsame Tochter sorgte, die bei Bauern versteckt war, äußert sich im Film enttäuscht darüber, dass ihre Tätigkeit im Exil in Deutschland kaum anerkannt wurde. Sie nahm trotz aller Schwierigkeiten ihre politische Arbeit wieder auf und sammelte in den 50er Jahren unermüdlich Unterschriften für den Stockholmer Appell gegen die Wiederaufrüstung und in den 80er Jahren unter den Krefelder Appell gegen die Stationierung von Atomraketen. Auch sie überzeugte durch ihre Lebendigkeit, ihre Menschlichkeit ebenso wie durch ihren konsequenten Kampf gegen faschistisches und rassistisches Gedankengut und ihren Einsatz für den Frieden.

Hans Heisel, der als letzter auf dem Podium zu Wort kam, beklagte das Verschwinden seiner Weggefährten, diesseits und jenseits des Rheins, mit denen er sich über viele Jahre regelmäßig getroffen hatte und die ihn mit großer Selbstverständlichkeit als einen der Ihren aufgenommen hatten, auch in den Jahren nach 1945, als den Deutschen in Frankreich oft Ablehnung, ja Hass entgegen schlug. Die Herzlichkeit im Haus der Familie Gingold, – die Geschwister von Peter Gingold sind in Paris geblieben, auch sie sind im Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus politisch aktiv – ist für Hans Heisel Beispiel der Völkerfreundschaft im Kleinen, die sich über die Traumata der Vergangenheit hinwegsetzt und offen ist für Begegnungen, über Grenzen hinweg, trotz aller Unterschiede und sprachlicher Schwierigkeiten.

„Trotz alledem! Ein Portrait des Widerstandes im Rhein-Main-Gebiet 1933-1945“ mit Linoldrucken von Thilo Weckmüller bekam ich als Geschenk mit auf den Weg zurück nach München. Der Ausflug nach Frankfurt hat mich bereichert und mir die Augen geöffnet für Ereignisse, die mir bis dahin relativ unbekannt waren. Die Begegnung mit Peter und Ettie Gingold im Film und das Gespräch mit einem der letzten Zeitzeugen sind wertvolle Erfahrungen, die ich dieser Reise verdanke.

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